Nein, das ist
leider kein Satz aus einer Guido Knopp Dokumentation. Das ist nur eine von
mehreren Beleidigungen, denen ich gestern im Bus gegenüberstand, bzw. saß. Der
Grund: Ich hatte den fatalen Fehler gemacht meinen Mund aufzumachen. Und so kam
es:
Am Wiesbadener
Hauptbahnhof bestieg ich mit meiner Freundin den Bus. Wir kamen beide von einer
Wochenendreise, hatten dementsprechend Gepäck dabei und die Müdigkeit in den
Augen. Ein junger Mann, nennen wir ihn Max, bestieg kurz vor Abfahrt den Bus
und setzte sich breitbeinig auf die Rückbank. In der Hand hatte er eine
Getränkedose und in seinem Magen einen Döner mit ordentlich Zwiebeln und
Knoblauchsoße. Der Geruch war zwar sehr penetrant, aber nach drei Jahren
Pendlerdasein akzeptiert man, dass öffentliche Verkehrsmittel nun einmal keine
wohlduftenden Privatfahrzeuge sind. Max schlürfte genüsslich sein Getränk und
machte in keiner Weise einen aggressiven Eindruck. Als der Bus die Moritzstraße
erreichte, hörte ich plötzlich ein blechernes klappern hinter mir und drehte
mich um.
„Ich mach das, weil ich es will du
Hurensohn!“
Max hatte seine
leere Dose einfach aus dem fahrenden Bus und mitten auf die stark befahrene
Moritzstraße geworfen. Meinen Blick hatte er auch bemerkt und ging sogleich in
den Aggressionsmodus über. „Was ich denn zu glotzen hätte“ fragte er mich.
Meine Gegenfrage, warum er denn die Dose aus dem Fenster geworfen hat, wurde
mit einem „ich mach das, weil ich es will...“ und dann noch etwas lauter und aggressiver“...du
Hurensohn!“ beantwortet. Was folgte war eine wüste Aneinanderreihung von
Beschimpfungen der übelsten Sorte. Thema war unter anderem Sex mit meiner
Mutter, gefolgt von deren Tötung, auch mich wollte er „ficken“ und danach „in
der Gaskammer umbringen“ weil ich bestimmt ein „schwuler, scheißdrecks Jude“
bin. Ich muss gestehen, dass ich mich – auch mit einer Körpergröße von über
1,90 m – in dieser Situation sehr klein und schwach gefühlt habe und daher
beschloss ich Max einfach zu ignorieren. Natürlich hat ihn das noch wütender
gemacht. Die antisemitischen Beleidigungen erreichten nochmal ein höheres und
lauteres Level.
„Komm gib mir eine! Komm genau hier hin...“
Als auch das nichts
half, spuckte er mich an und traf mich an der Jacke. In aggressivstem Tonfall
bettelte er darum, „dass ich ihm doch eine verpassen soll“, wohl wissend das
dies nur dazu diente mich danach brutalst zusammenzuschlagen ignorierte ich ihn
weiter, obwohl die Demütigung durch Max Zwiebelspeichel-Attacke mich vor Zorn
erröten ließ. An der Haltestelle Landeshaus baute er sich noch einmal vor mir
auf, gab ein Best-of seiner vorangegangenen Beleidigungen und spuckte mir
mitten ins Gesicht. Ich hab mich in meinem ganzen Leben noch niemals so
gedemütigt und hilflos gefühlt.
Lieber weggucken statt eingreifen.
Max ist
offensichtlich ein gestörter Mensch und sicherlich gibt es irgendeinen Grund
für sein Verhalten. Vielleicht ist ihm etwas ganz schlimmes in seiner Kindheit
wiederfahren, oder kurz bevor er in den Bus gestiegen ist. Vielleicht ist Max
aber auch einfach nur ein riesen Arschloch. Ehrlich gesagt interessiert mich
das nicht. Was mich aber interessieren würde ist, warum ein Mensch einen
anderen Menschen in einem Stadtbus um kurz vor 20 Uhr dermaßen beleidigen,
bedrohen und demütigen darf und keiner einschreitet. Ich frage mich was sich
das junge Mädchen gedacht hat, welches direkt neben Max mit ausdrucksloser
Miene saß und die Szenerie ignorierte. Oder die zwei gutgebauten
Türsteher-Typen, die mir direkt gegenüber saßen. Oder der Busfahrer, der
behauptet er hätte davon nichts mitbekommen und das trotz Kamera, welche ja
angeblich für meine Sicherheit angebracht wurde. Hatten sie selbst Angst?
Wollten sie sich lieber nicht einmischen? Kannten sie den Typen? Oder fanden
sie im schlimmsten Fall, dass Max mit seinen Beschimpfungen ja nur Recht hat
und es gut ist wenn es endlich mal jemand ausspricht? Vielleicht hatten sie
aber auch nur von den ganzen Horrorgeschichten à la BILD gehört, in denen
Zivilcourage dem Helfenden einen Schädelbasisbruch eingebracht hat.
„Die
Videokamera zeichnet nicht auf“
Als Max den Bus
verlassen hatte hab ich die Polizei verständigt und eine bestmögliche
Beschreibung und seinen Ausstiegsort genannt. Der Beamte war sehr freundlich und
bestimmt tun sie ihr Bestes, aber selbst wenn sie ihn irgendwo aufgegriffen
haben: welche Konsequenzen hat er schon zu befürchten? Sozialstunden wegen
Beleidigung? Gemeinschaftsdienst wegen unkontrollierter Speichelabgabe? Die
Polizei kann bei so etwas so gut wie nichts tun. Fakt ist einfach das solche
Typen wie Max sich alles erlauben können, solange alle weggucken. Fakt ist das
bei allem „Bildung ist unsere Zukunft“-Gesalbe auf den Straßen immer noch das
Recht des Stärkeren regiert. Fakt ist das ich Angst habe. Angst, dass so etwas
noch einmal passiert. Angst davor, dass ich Max irgendwo wieder treffe und er
mich erkennt und Angst davor irgendeine Art von Schubladendenken aufzubauen. Ich
will aber keine Angst haben! Ich liebe diese Stadt und die Menschen die hier
leben. Ich liebe es völlig frei durch die Straßen zu schlendern. Ich liebe das
Leben hier, von Sonnenberg bis zur Wellritzstraße. Aber Individuen wie Max
wollen es mir vermiesen und das werde ich nicht zulassen.
Natürlich ist mir völlig
klar, dass jeden Tag, jede Stunde und Sekunde Dinge geschehen deren Ausmaß mein
Erlebtes wie einen sonnigen Tag im Freibad aussehen lassen. Mir ist auch klar
das sowas, in Städten wie Wiesbaden, tagtäglich und mehrfach passiert. Es ist
deswegen aber nicht weniger ein Problem.
Im Übrigen spielt
es bei dieser Geschichte genauso wenig eine Rolle, ob die Person nun Max, Mohammed, Meng-Kim oder Middlethorpe heißt,
wie die Tatsache, ob ich nun tatsächlich einer Minderheit angehöre oder nicht.
Arschloch bleibt Arschloch und Opfer bleibt Opfer – solange wir das akzeptieren.
5. November 2013, André
Georg Haase