Dienstag, 5. November 2013

„Ich bring dich um du Judenschwein“


Nein, das ist leider kein Satz aus einer Guido Knopp Dokumentation. Das ist nur eine von mehreren Beleidigungen, denen ich gestern im Bus gegenüberstand, bzw. saß. Der Grund: Ich hatte den fatalen Fehler gemacht meinen Mund aufzumachen. Und so kam es:

Am Wiesbadener Hauptbahnhof bestieg ich mit meiner Freundin den Bus. Wir kamen beide von einer Wochenendreise, hatten dementsprechend Gepäck dabei und die Müdigkeit in den Augen. Ein junger Mann, nennen wir ihn Max, bestieg kurz vor Abfahrt den Bus und setzte sich breitbeinig auf die Rückbank. In der Hand hatte er eine Getränkedose und in seinem Magen einen Döner mit ordentlich Zwiebeln und Knoblauchsoße. Der Geruch war zwar sehr penetrant, aber nach drei Jahren Pendlerdasein akzeptiert man, dass öffentliche Verkehrsmittel nun einmal keine wohlduftenden Privatfahrzeuge sind. Max schlürfte genüsslich sein Getränk und machte in keiner Weise einen aggressiven Eindruck. Als der Bus die Moritzstraße erreichte, hörte ich plötzlich ein blechernes klappern hinter mir und drehte mich um.

„Ich mach das, weil ich es will du Hurensohn!“ 

Max hatte seine leere Dose einfach aus dem fahrenden Bus und mitten auf die stark befahrene Moritzstraße geworfen. Meinen Blick hatte er auch bemerkt und ging sogleich in den Aggressionsmodus über. „Was ich denn zu glotzen hätte“ fragte er mich. Meine Gegenfrage, warum er denn die Dose aus dem Fenster geworfen hat, wurde mit einem „ich mach das, weil ich es will...“ und dann noch etwas lauter und aggressiver“...du Hurensohn!“ beantwortet. Was folgte war eine wüste Aneinanderreihung von Beschimpfungen der übelsten Sorte. Thema war unter anderem Sex mit meiner Mutter, gefolgt von deren Tötung, auch mich wollte er „ficken“ und danach „in der Gaskammer umbringen“ weil ich bestimmt ein „schwuler, scheißdrecks Jude“ bin. Ich muss gestehen, dass ich mich – auch mit einer Körpergröße von über 1,90 m – in dieser Situation sehr klein und schwach gefühlt habe und daher beschloss ich Max einfach zu ignorieren. Natürlich hat ihn das noch wütender gemacht. Die antisemitischen Beleidigungen erreichten nochmal ein höheres und lauteres Level.

„Komm gib mir eine! Komm genau hier hin...“

Als auch das nichts half, spuckte er mich an und traf mich an der Jacke. In aggressivstem Tonfall bettelte er darum, „dass ich ihm doch eine verpassen soll“, wohl wissend das dies nur dazu diente mich danach brutalst zusammenzuschlagen ignorierte ich ihn weiter, obwohl die Demütigung durch Max Zwiebelspeichel-Attacke mich vor Zorn erröten ließ. An der Haltestelle Landeshaus baute er sich noch einmal vor mir auf, gab ein Best-of seiner vorangegangenen Beleidigungen und spuckte mir mitten ins Gesicht. Ich hab mich in meinem ganzen Leben noch niemals so gedemütigt und hilflos gefühlt.

Lieber weggucken statt eingreifen.

Max ist offensichtlich ein gestörter Mensch und sicherlich gibt es irgendeinen Grund für sein Verhalten. Vielleicht ist ihm etwas ganz schlimmes in seiner Kindheit wiederfahren, oder kurz bevor er in den Bus gestiegen ist. Vielleicht ist Max aber auch einfach nur ein riesen Arschloch. Ehrlich gesagt interessiert mich das nicht. Was mich aber interessieren würde ist, warum ein Mensch einen anderen Menschen in einem Stadtbus um kurz vor 20 Uhr dermaßen beleidigen, bedrohen und demütigen darf und keiner einschreitet. Ich frage mich was sich das junge Mädchen gedacht hat, welches direkt neben Max mit ausdrucksloser Miene saß und die Szenerie ignorierte. Oder die zwei gutgebauten Türsteher-Typen, die mir direkt gegenüber saßen. Oder der Busfahrer, der behauptet er hätte davon nichts mitbekommen und das trotz Kamera, welche ja angeblich für meine Sicherheit angebracht wurde. Hatten sie selbst Angst? Wollten sie sich lieber nicht einmischen? Kannten sie den Typen? Oder fanden sie im schlimmsten Fall, dass Max mit seinen Beschimpfungen ja nur Recht hat und es gut ist wenn es endlich mal jemand ausspricht? Vielleicht hatten sie aber auch nur von den ganzen Horrorgeschichten à la BILD gehört, in denen Zivilcourage dem Helfenden einen Schädelbasisbruch eingebracht hat.

 „Die Videokamera zeichnet nicht auf“

Als Max den Bus verlassen hatte hab ich die Polizei verständigt und eine bestmögliche Beschreibung und seinen Ausstiegsort genannt. Der Beamte war sehr freundlich und bestimmt tun sie ihr Bestes, aber selbst wenn sie ihn irgendwo aufgegriffen haben: welche Konsequenzen hat er schon zu befürchten? Sozialstunden wegen Beleidigung? Gemeinschaftsdienst wegen unkontrollierter Speichelabgabe? Die Polizei kann bei so etwas so gut wie nichts tun. Fakt ist einfach das solche Typen wie Max sich alles erlauben können, solange alle weggucken. Fakt ist das bei allem „Bildung ist unsere Zukunft“-Gesalbe auf den Straßen immer noch das Recht des Stärkeren regiert. Fakt ist das ich Angst habe. Angst, dass so etwas noch einmal passiert. Angst davor, dass ich Max irgendwo wieder treffe und er mich erkennt und Angst davor irgendeine Art von Schubladendenken aufzubauen. Ich will aber keine Angst haben! Ich liebe diese Stadt und die Menschen die hier leben. Ich liebe es völlig frei durch die Straßen zu schlendern. Ich liebe das Leben hier, von Sonnenberg bis zur Wellritzstraße. Aber Individuen wie Max wollen es mir vermiesen und das werde ich nicht zulassen.

Natürlich ist mir völlig klar, dass jeden Tag, jede Stunde und Sekunde Dinge geschehen deren Ausmaß mein Erlebtes wie einen sonnigen Tag im Freibad aussehen lassen. Mir ist auch klar das sowas, in Städten wie Wiesbaden, tagtäglich und mehrfach passiert. Es ist deswegen aber nicht weniger ein Problem.  

Im Übrigen spielt es bei dieser Geschichte genauso wenig eine Rolle, ob die Person nun Max,  Mohammed, Meng-Kim oder Middlethorpe heißt, wie die Tatsache, ob ich nun tatsächlich einer Minderheit angehöre oder nicht. Arschloch bleibt Arschloch und Opfer bleibt Opfer – solange wir das akzeptieren.

5. November 2013, André Georg Haase